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Nachweisgesetz 2022: Ein Schritt zurück in die digitale Steinzeit?

Das Nachweisgesetz 2022: Das ändert sich für Arbeitsverträge

27. Juli 2022 · 6 Min. Lesezeit · HR WORKS Redaktion

Die im Bundestag beschlossenen Änderungen im Nachweisgesetz sorgen für harsche Kritik. Denn: Ab dem 1. August müssen Personaler Arbeitsverträge um einige wichtige Punkte ergänzen und die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich aushändigen. Und zwar zwingend. Doch welche neuen Informationen sind nun fester Bestandteil von Arbeitsverträgen? Inwiefern müssen HR-Manager Altverträge anpassen? Und wie wirkt sich die vorgeschriebene Schriftform in der Praxis aus?


Update

Im Oktober 2024 hat der Bundesrat dem vierten Bürokratieentlastungsgesetz (BEG IV) zugestimmt, das auch Änderungen im Nachweisgesetz umfasst. Eine wichtige Änderung: der Wegfall der verpflichtenden Schriftform. Nach dem Nachweisgesetz von 2022 mussten Arbeitsverträge sowie die Dokumentation der wesentlichen Arbeitsbedingungen noch schriftlich festgehalten werden. Ab dem 1. Januar 2025 genügt nun auch die Textform. Das hat auch Auswirkungen auf die E-Signatur. Sie erleichtert zusätzliche Prozesse in HR – und schafft mehr Verbindlichkeit für Arbeitgeber.

Was genau ist das Nachweisgesetz?

Das Nachweisgesetz (NachwG) gestaltet die Rahmenbedingungen für den Arbeitsvertrag. Es verpflichtet Arbeitgeber, wesentliche Vertragsbedingungen schriftlich festzuhalten und sie dem Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmerin auszuhändigen. Dazu gehören:

  • Name und Anschrift beider Vertragsparteien
  • Beginn und Dauer der Beschäftigung
  • Arbeitsort
  • Beschreibung der Tätigkeit
  • Höhe des Entgelts
  • Arbeitszeit
  • Urlaubstage
  • Kündigungsfrist
  • Sonstige Vereinbarungen (Tarifverträge oder Ähnliches)

Es schreibt außerdem die handschriftliche Unterzeichnung beider Parteien vor. Ebenso dass der Vertrag spätestens einen Monat nach Beginn des Arbeitsverhältnisses vorliegen muss. Bei relevanten Vertragsänderungen im späteren Verlauf gilt dieselbe Frist.

Welche Änderungen treten ab dem 1. August 2022 in Kraft?

Am 23. Juni hat der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union verabschiedet. Damit wird die Arbeitsbedingungenrichtlinie der EU in nationales Recht umgewandelt. Dies bringt weitreichende Gesetzesänderungen mit sich. Betroffen sind folgende Gesetze:

  • Nachweisgesetz
  • Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
  • Teilzeit- und Befristungsgesetz
  • Berufsbildungsgesetz sowie der
  • Gewerbeordnung

Umzusetzen sind sie bis zum 31. Juli 2022.

Folgende Änderungen treten im Nachweisgesetz in Kraft:

Schriftform: Wesentliche Arbeitsbedingungen sind schriftlich zu erfassen. Das bedeutet, dass eine rein elektronische Form ausgeschlossen bleibt.

Ordnungswidrigkeiten bei Verstößen: Erstmals ist eine Geldbuße von bis zu 2.000 Euro fällig, wenn Vorschriften missachtet werden.

Erweiterte Dokumentationspflichten: Für Sachverhalte, die einen Auslandsaufenthalt der Mitarbeiter von mehr als vier Wochen am Stück erfordern oder unter den Anwendungsbereich der Richtlinie 96/71/EG fallen.

Zusätzliche Angaben: Der Umfang der im Nachweisgesetz geforderten Angaben ist deutlich gestiegen. Neuerdings festzuhalten sind ab 01. August 2022 folgende Punkte:

  • Enddatum befristeter Arbeitsverträge
  • Dauer der Probezeit
  • Zusammensetzung, Höhe, Fälligkeit und Form der Auszahlung des Arbeitsentgelts
  • Vergütung von Überstunden sowie Umstände, unter denen sie anfallen
  • Ruhezeiten und Ruhepausen
  • Schichtsystem, Schichtrhythmus sowie Voraussetzung für Schichtänderung
  • Verfahren und Fristen, welche bei Kündigung einzuhalten sind inklusive Details zur Kündigungsschutzklage
  • Hinweis zur Möglichkeit, Arbeitsort frei auszuwählen (falls vereinbart)
  • Details zur Arbeit auf Abruf (falls vereinbart)
  • Anspruch auf Fortbildungen (falls vereinbart)
  • Angaben zu Arbeitsort und Entlohnung bei vorübergehender Beschäftigung von mindestens vier aufeinanderfolgenden Wochen im Ausland (falls vereinbart)
  • Versorgungsträger der betrieblichen Altersversorgung (falls vorhanden)
  • Hinweis auf bestehende Tarifverträge (falls vorhanden)
  • Innerbetriebliche Bußgeldvorschriften (falls vorhanden)
  • Regelungen auf der Grundlage kirchlichen Rechts (falls kirchlicher Arbeitgeber)

Ist das Nachweisgesetz ein Schritt zurück in die digitale Steinzeit?

Deutschland macht mit der neuen Arbeitsbedingungenrichtlinie einen viel kritisierten Rückschritt. Denn längst bietet die Digitalisierung sichere Möglichkeiten, die Schriftform bei Arbeitsverträgen abzulösen. Laut EU-Richtlinie ist sie sogar ausdrücklich erlaubt. Außerdem bringen zwingend notwendige Archive für ausgedruckte und abgeheftete Unterlagen keine nennenswerten Vorteile für Unternehmen, binden allerdings Ressourcen. Überdies macht die geforderte Schriftform Deutschland zum Schlusslicht im digitalen Vergleich – nicht nur in Europa, sondern sogar weltweit.

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Die Politik entfernt sich von Realität der Wirtschaft

Die Begründung des Gesetzes geht davon aus, dass nur etwa 10 Prozent aller Unternehmen ihre Musterverträge an die neue Richtlinie anzupassen haben. Wirtschaftsnahe Schätzungen allerdings prognostizieren, dass annähernd jeder Betrieb Änderungen vornehmen muss. Der Hauptgrund: Bisher war es nicht gängige Praxis, in Arbeitsverträgen detaillierte Angaben zu spezifischen Aspekten wie dem Kündigungsschutzverfahren zu machen.

Tipps zum Umgang mit dem geänderten Nachweisgesetz

Für viele Unternehmen besteht großer Handlungsbedarf, um kein Bußgeld zu riskieren: Es gilt, alle geforderten Angaben in neue Verträge aufzunehmen und diese weiterhin schriftlich festzuhalten und abzulegen. Allerdings ist es nicht nötig, bestehende Arbeitsverträge anzupassen. Hier reicht es aus, die neuen Punkte in einem Informationsblatt zu erfassen und an interessierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuhändigen: Das Nachweisgesetz sieht nicht vor, dass die genannten Angaben zwingend im Arbeitsvertrag aufgeführt werden müssen. Allerdings beträgt die Frist zur Information der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur sieben Tage. Daher sollten alle dazu nötigen Aufgaben zeitnah erledigt sein.

  1. Mit Änderungen vertraut machen: Personaler müssen neue Angaben registrieren und unternehmensspezifisch umsetzen. Zusätzlich ist zu bedenken: Der Mindestlohn erhöht sich im Oktober 2022 auf 12 € pro Stunde.
  2. Notwendige Anpassungen in Musterarbeitsverträgen vornehmen oder auf Informationsblatt festhalten: Einmalig eingegebene Änderungen bleiben bestehen und sind für jeden neuen Vertrag abrufbar. Statt die geforderten neuen Aspekte in den Arbeitsvertrag zu integrieren, können Arbeitgeber diese ebenso auf Informationsblättern festhalten und neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammen mit dem Arbeitsvertrag aushändigen.
  3. Bestehende Verträge prüfen: Steht fest, welche Angaben in den Altverträgen enthalten sind, sollten HR-Manager dementsprechende Informationsblätter mit den fehlenden Punkten erstellen.
  4. Informationsblatt mit nötigen Angaben an Angestellte aushändigen: Dieses enthält Informationen zu allen neu geforderten Aspekten. Fragen Angestellte danach, händigen Personalabteilungen es ihnen aus, um ihre Aufklärungspflicht zu erfüllen.

Rückschritt für die Digitalisierung ohne nennenswerte Vorteile

Das erklärte Ziel der Änderungen im Nachweisgesetz besteht darin, eine transparentere und vorhersehbare Beschäftigung zu ermöglichen. Und sicher haben Personaler ab jetzt die Möglichkeit, die von nun an geforderten Angaben im Arbeitsvertrag dazu zu nutzen, gewisse Punkte – wie die Einhaltung von festen Ruhepausen oder klare Bedingungen zur Arbeit auf Abruf – ins Unternehmen zu integrieren. Es lohnt sich bei der Gelegenheit, die Arbeitsverträge an die veränderten Bedürfnisse der Beschäftigten anzupassen. Zum Beispiel, indem Personaler Optionen wie die freie Wahl des Arbeitsortes einführen, da immer mehr Angestellte danach verlangen und der zunehmende Fachkräftemangel bestmögliche Arbeitsbedingungen fordert.

Fraglich bleibt allerdings, ob diese Aspekte durch die notwendigen Angaben im Arbeitsvertrag auch tatsächlich zum gelebten Arbeitsalltag in Unternehmen werden. Fest steht hingegen, dass bereits etablierte digitale Errungenschaften damit in ihrem Nutzen eingeschränkt werden. So kann die E-Signatur beispielweise weiterhin in Arbeitsverträgen genutzt werden ‒ dies ist allerdings mit der Einschränkung verbunden, dass neuen Mitarbeiter an ihrem ersten Arbeitstag ein ausgedrucktes und vom Arbeitgeber handschriftlich unterschriebenes Dokument vorliegen muss, das alle im Nachweisgesetz geforderten Informationen enthält. Oder mit anderen Worten: Was vorher vollkommen ohne Papier möglich war, füllt nun wieder Aktenschränke. Das bedeutet einen erheblichen Rückschritt, der unnötig Ressourcen bindet und Deutschland im internationale Vergleich aufs digitale Abstellgleis manövriert.


Disclaimer

Die Inhalte dieses Beitrags sind sorgfältig recherchiert, stellen jedoch keine Rechtsberatung dar. Bitte wenden Sie sich bei konkreten rechtlichen Fragen an einen spezialisierten Fachanwalt.

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